Bonolino in der Anderswelt

„Dublin in the rare old times ... tralalalala ...“ Ich war auf der Grünen Insel angekommen, und allenthalben erklang die wunderbare irische Folkmusik in den Straßen. Von GIGGEL (Gesellschaft Irischer Gnome, Gespenster, Elfen und Leprechauns), BÄH (Banshees und Ähnliche Hexen) und BKA (Bund der Kobolde und Alben) hatte ich eine Einladung zum alljährlichen Halloween-Treffen der keltischen Anderswelt erhalten.

Ich fühlte mich hochgeehrt, war ich doch als Nilpferd gar nicht den Fabelwesen zugehörig. Zu meinem Empfangskomitee gehörte der Leprechaun Jack. Leprechauns sind ganz famose, kleine Burschen. Sie haben rote Haare, tragen grüne Kleidung, einen Capotain-Hut und verstecken Töpfe voller Gold am Ende von Regenbögen.

Jack begrüßte mich mit einem fröhlichen „Enjoy the craic!“ Äääh, ja … Was mochte das wohl bedeuten?

„Carpe Diem auf Irisch.“ Ich guckte noch immer verständnislos aus der Wäsche.

„Genieße die irische Art zu leben!“, erklärte er lachend.

Das Halloween-Treffen fand nachts im altehrwürdigen Trinity College, einer Dubliner Universität, statt. Wir begaben uns in die Alte Bibliothek, in der sich das berühmte Book of Kells befand. Ein wenig Kultur gehörte offensichtlich zu jedem Halloween-Treffen dazu. Nie zuvor hatte ich ein schöneres und kostbareres Buch gesehen! Noch jetzt bin ich vollkommen überwältigt! Wie die jungen Mönche ein solch filigranes Kunstwerk schaffen konnten, ist mir unbegreiflich! Und jung mussten sie sein, weil sie aus Sicherheitsgründen ohne Kerzenlicht in einem düsteren Abteigemäuer arbeiten mussten und daher gute Augen brauchten. Die Alte Bibliothek selbst enthielt eine unglaubliche Anzahl uralter, wertvoller Bücher. Kein Vergleich zu meiner eigenen übersichtlichen Sammlung!

Eine Fairie mit spitzen Zähnen kam uns entgegen und musterte mich neugierig.

„Bei denen musst du höllisch aufpassen!“, flüsterte mir Jack ins Ohr. „Nimm von denen niemals etwas zu essen oder zu trinken an und lass dich auf kein Tänzchen mit ihnen ein – sonst bist du verloren! Die Fairies verschleppen dich in ihre Feenhügel und lassen dich, wenn überhaupt, erst nach vielen Jahren wieder frei! Du kannst sie mit Eisen auf Abstand halten, aber das gilt ja leider für alle von uns.“

„Spielverderber“, maulte die Fairie und funkelte den Leprechaun böse an.

„Ihr Andersweltler habt alle eine Eisenallergie?“ Ich war verblüfft.

„Nicht alle“, antwortete ein hochnäsiger Vampir. „Bei Blutmangel werfe ich sogar ein paar Eisentabletten ein.“

Ein Vampir hält ein Röhrchen mit Eisentabletten in der Hand

„Du stammst ja auch gar nicht aus der Anderswelt, sondern bist nur ein Wiedergänger“, zischte die Fairie. „Möchte mal wissen, wer dich eingeladen hat.“

Der Vampir zeigte sich unbeeindruckt, wedelte mit der Hand kurz durch die Luft, als wolle er eine lästige Fliege vertreiben, und gab dann kund, dass es nun Zeit für die Limericks sei.

Ja, die Limericks. Scherzhafte Gedichte in fünf Zeilen. Der Limerick-Wettbewerb war der Höhepunkt eines jeden Halloween-Treffens, und dieses Mal hatte man mich als „Thema“ auserkoren. Ich war ja schließlich Ehrengast und genauso fühlte ich mich. Den Anfang machte eine äußerst sympathische Banshee, was eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Denn normalerweise will man von einer Banshee weder etwas sehen und noch weniger etwas hören, kann sie doch mit ihrem Klagen und Kreischen Tod oder Wahnsinn hervorrufen. Nun, ich habe noch nie viel auf Vorurteile gegeben. Die Banshee trug ein aus meiner Sicht hervorragendes Gedicht vor:

„Bonolino einst reiste nach Éire, damit Halloween er hier fei’re, in der Anderen Welt, so wie es gefällt, der Anderen Welt hier auf Éire.“

Dann war eine Brownie an der Reihe, und ich drückte der kleinen Fee für ihr Gedicht die Daumen:

„Bonolino besuchte die Insel, zu malen das Grün mit 'nem Pinsel. Das gelang ihm recht gut, und es zog seinen Hut, der Herr Jack, ganz ohne Gewinsel.“

Ganz entzückend, nicht wahr? Dann sagte Jack seinen Limerick auf:

„Ein Nilpferd fand einst einen Bogen, aus Regen, das ist nicht gelogen. Das Glück war ihm hold, denn 'nen Topf voll mit Gold, hat es schließlich aus der Erde gezogen.“

Ich knuffte Jack mit dem Ellenbogen begeistert in die Seite. „Tolles Gedicht! Und wo finde ich den Regenbogen? Du kannst mir den Goldtopf aber auch gleich geben, dann muss ich nicht so lange suchen.“ Es folgten noch viele Limericks, und jeder einzelne wurde gebührend gewürdigt.

Dann ging es an die Preisverleihung. Ein Irrlicht rief in die Menge, dass ich den Gewinner küren solle, und alle stimmten zu. Das war mir sehr unangenehm, da mir sämtliche Limericks gefallen hatten und ich niemanden übergehen wollte. Kurzerhand bestimmte ich die gesamte Veranstaltung zum Gewinner und gewann nebenbei die Herzen aller Andersweltler.

Der Abschied aus Irland fiel mir sehr schwer. Ich schüttelte Jack und den anderen mit einem „Go raibh míle maith agat! – Vielen Dank!“ die Hände und wischte mir gerührt über die Augen. Der Leprechaun klopfte mir auf die Schulter, erwiderte „Slán agus beannacht! – Auf Wiedersehen und sei gesegnet!“, zwinkerte mir zu und wies mit dem Daumen heimlich auf das Ende eines Regenbogens, der gerade eben entstanden war. Nachdem die Andersweltler mich verlassen hatten, buddelte ich schnell den Topf mit Gold aus dem Boden und kehrte mit einem lauten „Auffi, Galápagos!“ nach Hause zurück.

Bonolino findet am Ende eines Regenbogens einen Topf mit Gold


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