Bonolino und die Fruchtfliegen

Selbstgemachte Marmelade – miamm, miamm! Ich hatte mir draußen auf der Wiese alles für eine kleine Vesper zusammengestellt und ging noch einmal in mein Gartenhäuschen, um mir aus der Küche Brot mitzubringen. Als ich voller Vorfreude wieder nach draußen kam, hörte ich ein vielstimmiges Summen, Brummen und Gekicher. In meinen geöffneten Marmeladengläsern hatten sich ein paar Fruchtfliegen niedergelassen, die sich über die süße Leckerei hermachten.

„Geht ihr wohl mit euren schmutzigen Füßen aus meiner Marmelade!“, schimpfte ich empört.

„Die sind nicht schmutzig. Wir haben sie extra vorher in deinem Wasserglas gewaschen“, erhielt ich von einer der Fruchtfliegen zur Antwort. Bäh! Ich schüttete das Wasser in das Blumenbeet und schenkte mir in ein frisches Glas Sprudel nach.

„Mein Name ist übrigens Droso und sie hier heißt Phila“, sprach die Fruchtfliege.

„Deine Augen sind ja ganz rot. Du hast wohl zu viel von der Kirschmarmelade genascht“, meinte ich.

„Nein, die sind von Natur aus so“, antwortete Droso. „Aber Phila hatte entschieden zu viel Stachelbeerkonfitüre.“

Tatsächlich! Die Augen der anderen Fruchtfliege waren grasgrün. Dann erblickte ich eine Fruchtfliege mit orangefarbenen Augen: „Lass mich raten! Kürbismarmelade?“

Die Fruchtfliege kicherte: „Und du? Ein paar Fässer voll Heidelbeerkompott?“

Entrüstet räusperte ich mich. „Ich habe gar keine blauen Augen!“

„Stimmt! Aber für den Rest von dir hat es allemal gelangt!“, lachte das kleine Insekt.

„Du Doof!“, brummelte ich verlegen und betrachtete meinen dicken blauen Bauch.

„Melano. Ich heiße Melano“, antwortete die orangeäugige Fruchtfliege.

„Jetzt ärgert Bonolino nicht so“, rief eine Fruchtfliege namens Gaster mit purpurfarbenen Augen. Die kleinen Fliegen hatten aber wirklich interessante Namen! Wer sich die wohl ausgedacht hatte? „Schließlich hat er uns zum Essen eingeladen!“

„Ach ja? Habe ich das? Wann ist das denn passiert?“

„Das hat lange Tradition! Wer Obst und Süßes offen stehen lässt, lädt sämtliche Fruchtfliegen der Umgebung zu einem Festmahl ein. Wusstest du das nicht?“

„Und du bist ein ziemlich guter Gastgeber.“ Phila schmatzte zufrieden. „Sieben verschiedene Fruchtaufstriche!“

„Quasi sieben auf einen Streich!“, lachte Melano vergnügt.

Hmmmpfff! Im Märchen vom tapferen Schneiderlein ging die Geschichte für die Fliegen aber nicht so erfreulich aus. Machten die frechen Knirpse sich etwa über mich lustig?

„Ich finde, ihr habt jetzt genug gefuttert. Ihr platzt ja gleich!“ MauMau war unbemerkt herangeschlichen und zuckte gereizt mit dem Schwanz, so dass die Fliegen erschrocken aufstoben. In diesem Moment näherten sich Türülü und seine Vogelfreunde mit Abdeckhauben, die sie über den Marmeladegläsern fallen ließen. Auf meine Freunde war Verlass!

„Iiiiiih! Was machen denn die Haubenmeisen da?“, kreischte Droso entsetzt. „Mach das weg!“

Wütend funkelte das Amselmännchen die Fruchtfliege an. „Sag noch mal Haubenmeise zu mir und ich zeige dir, wo der Regenwurm das Loch gelassen hat!“

Türülü schimpft mit einer Fruchtfliege

Aus meinem Gartenhäuschen drang ein Kichern, und Eichhörnchen Knabber kam mit einem gefüllten Glas auf uns zugesprungen. „Probiert das mal!“, rief er den Fliegen breit grinsend zu und stellte das Glas auf den Tisch. „Ein besonderer Nektar, der mit großer Kunstfertigkeit zubereitet wurde und den ihr euch sauer verdient habt!“

Die Fliegen ließen sich nicht lange bitten, flogen zu dem Glas und steckten ihre Saugrüssel in die dunkle Flüssigkeit. Knabber hielt sich derweil den Bauch vor Lachen und beobachtete aufgeregt die Reaktion der Insekten.

„Oooooh“, flötete Phila. „Du hast nicht zu viel versprochen – das ist ausgesprochen köstlich!“

„Was ist in dem Glas?“, flüsterte ich Knabber ins Ohr.

„Balsam!“ Droso schlabberte selig vor sich hin.

„Essig!“, rief Knabber empört. „Stinknormaler Essig! Wieso schmeckt die Brühe den frechen Fruchtfliegen so gut?“

MauMau grinste: „Man nennt sie halt auch Essigfliegen.“

„Das hab ich nicht gewusst.“ Knabber zog eine Flunsch.

„Macht nichts. Du warst mir trotzdem eine große Hilfe! Und MauMau, Türülü und seine Kumpels auch!“, gab ich gut gelaunt zur Antwort. „Denn jetzt kann ich ungestört meine Marmeladenbrote essen, während die Fliegen ihren Balsamico-Essig trinken!“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht!“ Phila prustete Essigtröpfchen über den gesamten Tisch.

„Wir sind noch lange nicht satt!“, tönte Melano.

„Eigentlich schon“, japste Gaster und ließ sich auf die Tischdecke fallen. „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt. Määh, määh! Tischlein, versteck dich!“

„So geht das Märchen aber nicht“, beschwerte sich MauMau.

„Jawohle!“

„Du flunkerst doch!“

„Was denn sonst?“, krähte Türülü empört. „Fliegen haben kurze Beine!“

„Du meinst Lügen“, entgegnete MauMau.

„Die auch.“ Türülü flatterte auf den Tisch und inspizierte die Essigflecken auf der Tischdecke: „So was nennt man dann wohl Fliegendreck.“

„Bricklebrit“, gluckste Knabber.

Kopfschüttelnd wandte MauMau sich an mich: „Kannst du uns das ‚Tischlein, deck dich‘ in der richtigen Version erzählen, Bonolino?“

Klar konnte ich das. Und so nahm der Tag doch noch ein märchenhaftes Ende.

Bonolino liest allen aus einem Märchenbuch vor


Weblinks: Wikipedia


Seite ausdrucken