Bonolino und der Klabautermann
Ich hatte Laub und Reisig auf der Wiese rund um mein Gartenhäuschen zu kleineren und größeren Haufen zusammengefegt, damit es sich die Igel im Winter dort bequem einrichten und auch meine Amselfreunde munter darin herumpicken können.
Auf meinen Laubrechen gestützt, betrachtete ich stolz mein Werk. Plötzlich fuhr ein Windstoß in meine bunten Kreationen und wirbelte die Blätter durch die Luft. Dann fing es an, wie aus Eimern zu schütten. Der Herbst wollte mich wohl foppen, aber so schnell lasse ich mich nicht ärgern! Sollte er es doch regnen lassen! Mir doch egal!
Schnell begab ich mich in mein Gartenhäuschen, um mir eine Tasse Tee zu kochen und ließ in meiner vierfüßigen Badewanne heißes Wasser ein. Gerade wollte ich nach dem Badesalz greifen, als ich in dem Buddelschiff auf dem Wandregal ein kleines seltsames Männlein gegen das Glas klopfen sah. Hö? Wie kam das denn dahin? Das Männlein hatte rote Haare, grüne Zähne und einen weißen Bart, trug Seemannskleidung, eine Kapitänsmütze und eine Pfeife.
„Was bist du denn?“, fragte ich verdutzt. Das Männlein verzog das Gesicht zu einer Grimasse und klopfte mit seiner Pfeife erneut gegen die Flaschenwand. Ach so! Es konnte mich durch das dicke Glas nicht hören! Ich entstöpselte die Flasche mit einem lauten Plopp!
„Schockschwerenot“, gab das Männlein entrüstet von sich, während es aus der Flasche kletterte. „Schwerer Seegang! Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte dem Buddelmeer neue Farben und Aromen verpasst, Bonolino! Mir ist ziemlich übel.“
„Wie unschön.“ Misstrauisch beäugte ich den kleinen Burschen, der sich immer noch nicht vorgestellt hatte. „Sind deine Zähne deshalb so grün?“
Das Männlein verdrehte die Augen. „Ich bin ein Klabautermann und heiße KliKla. KliKla Klabauter. Und Klabautermänner haben grüne Zähne. Gehören zur Grundausstattung.“
Hmmm. Für mich sah er eher wie ein Klabautermännchen aus. Aber vielleicht würde er ja noch wachsen. Manche Leute wachsen mit und an ihren Herausforderungen. Womöglich brauchte er einfach nur ein größeres Schiff.
„Und was verschafft mir die Ehre? Du willst doch wohl nicht in mein Badezimmer einziehen? In meiner Speisekammer haust bereits ein Flaschengeist.“ Und ein paar Schokoladen-Nikoläuse, die ein altes Knusperhäuschen besetzt hielten.
„Nein. Bin ja keine Landratte. Ich muss hinaus aufs Meer“, antwortete KliKla. „Und da liegt das Problem. Oder vielmehr schwankt es.“ Mit einem Mal wirkte der kleine Mann gar nicht mehr so selbstsicher. „Ich werde immer seekrank, Bonolino! Das ist furchtbar peinlich! Ich muss doch holterdiepolter schabernecken und erschrecken! Aber die Matrosen lachen nur über mich, wenn sie mich über die Reling reihern sehen. Sie nennen mich schon den Klakübelmann. Hilf mir, bitte!“
Oha! Kübeln ist übel. Bei einem Klabautermann ist die See- ja gleichzeitig eine Berufskrankheit! Zum Glück kam in diesem Moment MauMau vorbei. Die kleine schwarze Katze hatte eine Idee: „Probier's doch mal mit Ingwer. Ich habe gehört, dass das helfen soll.“ Gesagt, getan. Als KliKla ein Stück Ingwerwurzel in den Mund steckte und kurz darauf herumkaute, lief er puterrot an und spuckte es dann in mein Badewasser.
„Heidewitzka, Herr Kapitän!“, japste der Klabautermann. „Das ist ja höllisch scharf! Willst du mich umbringen?“
„Geht das denn? Schließlich bist du doch eine Art Kobold.“ Angewidert ließ ich das Badewasser ab. „Dafür machst du jetzt hier erst einmal klar Schiff und schrubbst das Deck – ääh … die Badewanne, du Meerschwein!“
„‘Tschuldigung.“ Während KliKla die Badewanne putzte, dachten MauMau und ich weiterhin über sein Problem nach. Wir recherchierten im Internet und fanden dort eine Anti-Seekrankheit-Brille mit vier Gläsern (zwei vorne und zwei an den Seiten), deren Brillenfassung durchsichtig und mit einer blauen Flüssigkeit gefüllt war. Diese blaue Flüssigkeit sollte den Horizont simulieren und so der Seekrankheit vorbeugen. Ob das funktionieren konnte? Nun, Versuch macht klug. Wir probierten es aus und bestellten die Brille per Expresslieferung.
„Es klappt, es klappt!“, rief KliKla begeistert, während er uns von dem Spielzeugkutter aus zuwinkte, der in der frisch gefüllten Badewanne hin- und hertorkelte. Selbst ein von MauMau ausgelöster Tsunami (sie patschte mit der Pfote einmal kräftig ins Badewasser), brachte den kleinen Klabautermann nicht aus der Ruhe.
„Und gruselig genug siehst du mit der Brille auch aus!“, lachte MauMau. „Damit wirst du sämtliche Matrosen der Welt das Fürchten lehren!“
KliKla gluckste glücklich und verschwand dann zusammen mit meinem Spielzeugkutter in einem Mahlstrom, der sich plötzlich in meiner Badewanne gebildet hatte.
„Wo ist er hin?“, rief ich verblüfft.
„Er hat die Nordwest-Passage gefunden.“ MauMau grinste über das ganze Gesicht. Dann sah ich, dass sie den Badewannenstöpsel in den Pfoten hielt.
„Ist dem Kleinen 'was passiert?“, fragte ich sie nervös.
„Auf gar keinen Fall. Schon vergessen? Er ist ein Klabautermann und praktisch unverwüstlich.“
Auch wieder wahr. Wir erhielten nun regelmäßig Flaschenpost von KliKla. Die Anti-Seekrankheit-Brille hatte ihn zu einem wagemutigen Abenteurer gemacht. So heuerte er auf einem Wüstenschiff an, fuhr mit der Nautilus 20.000 Meilen unter dem Meer, wurde auf ein chinesisches Raumschiff geschanghait und anschließend von Kapitän Nemo wieder befreit.
So war nun also alles zum Besten geregelt. Igel und Singvögel waren versorgt, KliKla Klabauter segelte einer besseren Zukunft entgegen. Seufzend ließ ich mich in meinen bequemen Ohrensessel sinken. Dann hörte ich ein Scharren. Erstaunt blickte ich auf MauMau, die ein merkwürdiges Gestell neben meinen Sessel schob. „Was ist das?“, fragte ich sie.
„Eine Hängematte für Katzen.“
„Und wofür soll die gut sein?“
„Soll ebenfalls gegen Seekrankheit helfen“, lachte MauMau.
„Wind- statt Katzenjammer, was? Hast du denn vor, zur See zu fahren?“
„Eher nicht. Aber vielleicht träume ich ja davon.“
Ich grinste. „Dann schlaf gut, du Meerkatze!“