Bonolino und der Schneemann
Über Nacht hatte die Welt ein weißes Kleid angezogen: Alles glitzerte, glänzte und funkelte aufs Prächtigste. Schnell zog ich meinen warmen Anorak an, schlang mir meinen Schal um den Hals und stürmte übermütig nach draußen.
Vor der Haustür warf ich mich jauchzend in den Schnee und formte mit Armen und Beinen rudernd einen Engel in die kalte, weiße Masse. Dann stand ich auf, um mein Kunstwerk zu begutachten.
„Guck mal, MauMau“, rief die Amsel Türülü, „da hat sich ein riesiger Mistkäfer im Schnee gewälzt.“ MauMau kicherte.
„Pöh! Von euch lasse ich mich heute nicht ärgern“, gab ich grinsend zurück. Gut gelaunt kehrte ich den beiden den Rücken zu und zuckte erschrocken zurück, als kleine weiße Schneekugeln mit Öhrchen genau vor meine Füße rollten. Hö?
„Ihr müsst euch ein bisschen mehr anstrengen!“, tönte eine Stimme aus dem Wipfel eines Baumes. Dann huschte Eichhörnchen Knabber den Stamm hinunter zu den Schneekugeln und redete wild mit den Pfoten fuchtelnd auf sie ein. Langsam ging mir ein Licht auf: Knabber versuchte wieder einmal, den Wildkaninchen das Klettern beizubringen. Die putzigen Nager hüpften am Baumstamm hoch, konnten sich aber nicht halten, purzelten in den Schnee und rollten sich dabei zu Schneebällchen auf. Wenigstens schienen sie jede Menge Spaß bei der Tollerei zu haben, denn sie schüttelten sich fröhlich quietschend den Schnee ab.
„Kaninchen können nicht klettern und daran änderst auch du nichts. Lass uns lieber einen großen Schneemann bauen!“, rief ich dem Eichhörnchen zu. Klar, dass alle mitmachen wollten. Wir türmten drei unterschiedlich große Schneekugeln aufeinander – die größte zuunterst, die kleinste obenauf. Augen und Mund bestanden aus kleinen Kohlestückchen, als Nase steckte ich dem Schneemann eine Mohrrübe ins Gesicht, einen Eimer als Hut auf den Kopf und einen Besen zum Festhalten in den rechten Arm. Toll sah er aus! Mächtig stolz machten wir uns gegen Abend auf den Heimweg, um uns in der guten Stube aufzuwärmen und leckere Kürbissuppe zu löffeln.
Als ich am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein nach dem Schneemann sehen wollte, fehlte dem weißen Mann die Nase. Nanu! Die Mohrrübe konnte doch weder weggeschmolzen noch weggelaufen sein? Das konnte doch nur …
„Knabber!“, rief ich und blinzelte in das Baumgeäst über mir. „Hast du die Mohrrübe gefressen?“
Aus dem Baum ertönte ein undeutliches „Wiefooooo?“ Der kleine rote Bursche hatte doch eindeutig die Backen voll!
„Weil die Nase des Schneemanns fehlt. MauMau und Türülü fressen keine Möhren.“
„Es könnten doch die Wildkaninchen gewesen sein“, schlug Knabber vor. „Schließlich habe ich ihnen das Klettern beigebracht!“
„Hast du nicht. Jedenfalls können sie es nicht. Und du weißt, was mit Flunkerern passiert!“
„Nööö … was‘n?“
„Ihnen wächst eine lange Nase! Und sie hört erst dann auf zu wachsen, wenn du für Ersatz gesorgt hast.“ Erschrocken ließ sich Knabber in den weichen Schnee fallen und befühlte seine Schnauze. Türülü landete auf dem Kopf des Schneemanns und musterte Knabber. „Was ist mit deiner Nase passiert, Pinocchio? Sieht irgendwie länger aus.“ Panisch huschte Knabber in den Wald. Nach einer Weile kam er mit einem Fichtenzapfen zurück und steckte sie dem Schneemann ins Gesicht.
„Meint ihr, dass ihm seine neue Nase gefällt?“, fragte Knabber ängstlich.
„Bestimmt“, antwortete MauMau. „Jedenfalls grinst er über das ganze Gesicht.“