Bonolino und Nanuk

Alle Kinder sind von Natur aus neugierig und fragen ihren Eltern gerne Löcher in den Bauch. Auch der kleine Eisbär Nanuk bildete da keine Ausnahme und wollte immer alles ganz genau wissen. Da das auf Dauer recht anstrengend ist, bat mich seine Mutter um Hilfe.

Und so kam es, dass ich mich auf den Weg nach Grönland machte. Grönland ist die größte Insel der Erde und liegt ziemlich nah am Nordpol. Dementsprechend herrschen dort eisige Temperaturen, die mir als Nilpferd eigentlich gar nicht behagen. Mein warmer Anorak schützte mich jedoch ganz gut gegen die Kälte.

Nanuk erwartete mich mit neugierigen Knopfaugen und legte sofort los: „Braunbären sind braun und Schwarzbären sind schwarz. Wieso bin ich dann ein Eisbär und kein Weißbär?“

Uff! „Nun, äh“, stotterte ich, denn ich hatte nicht den geringsten Schimmer. „Eis und Schnee sind für Eisbären eben lebenswichtig ... und eigentlich bist du ja eher cremefarben, so gelblich-weiß ...“

„Genau“, kicherte eine Ringelrobbe, die gerade ihren Kopf aus einem Wasserloch im Eis streckte. „Und niemals gelben Schnee essen!“ Nanuk schaute sie böse an und streckte ihr dann die Zunge raus.

Eine Kegelrobbe streckt ihren Kopf aus dem Wasser

Eine zweite Robbe tauchte am Wasserloch auf: „Außerdem bedeutet der Name Nanuk in der Sprache der Inuit nun mal Eisbär.“ Blinzelnd musterte sie mich. „Die Inuit sind ein Eskimovolk, falls du das nicht wissen solltest. Was bist du eigentlich? Ein Blaubär mit Haarausfall?“

„Ich bin ein blaues Nilpferd, du Naseweis!“ Dann fügte ich – stolz darauf, auch etwas Schlaues von mir geben zu können – hinzu: „Es gibt Volksgruppen, die den Eisbären als Weißen Bären bezeichnen. Bei den Cree-Indianern heißt er nämlich Wapusk und bei den Sioux nennt man ihn Matoskah. Sooo! Da staunst du, was?“ Die beiden Robben gaben ein freches Geräusch von sich und verschwanden unter dem Eis.

Nanuk hingegen strahlte über das ganze Gesicht: „Echt? Dann bin ich also doch ein Weißbär? Und gleichzeitig ein Eisbär? Toll!“ Dann legte er seine kleine Stirn in Falten. „Hmm ... du hast gesagt, dass ich ein Eisbär bin, weil ich auf dem Eis lebe. Ich lebe aber auch auf Grönland – das bedeutet übersetzt Grünland. Bin ich dann nicht eigentlich ein Grünbär? Und wieso heißt Grönland so, obwohl hier fast alles weiß ist?“ Der Kleine stellte vielleicht schwierige Fragen!

„Ich vermute, dass es hier vor vielen Jahren einmal grün gewesen ist. Im Mittelalter gab es nämlich zwei kurze Warmzeiten mit deutlich milderen Temperaturen. Statt Eisblumen wuchs hier wohl damals jede Menge Grünzeug. Na ja, zumindest in einigen Küstengebieten. Zu warm und zu grün also für Eisbären – die werden sich in kältere Regionen verzogen haben.“ Puh! War das denn alles richtig, was ich dem Kleinen da erzählte? Sicher war ich mir nicht. Ich bewegte mich hier im wahrsten Sinne des Wortes auf ziemlich dünnem Eis. Verwegen setzte ich noch einen drauf: „Als Kälte und Eis wieder zurückkehrten, war der Name Eisland schon an Island vergeben und Grönland musste seinen behalten!“ Hoffentlich wollte er jetzt nicht wissen, warum Grönland denn nicht stattdessen Weiß- oder Kaltland hieß. Nervös auf meiner Unterlippe kauend wartete ich Nanuks Reaktion ab und betrachtete dabei die hübschen Polarlichter, die über den Himmel geisterten.

„Ich will aber ein Grünbär sein!“ rief er schließlich trotzig.

Das Polarlicht taucht Bonolino und Nanuk in ein grünes Licht

„Aber das bist du doch“, ertönte eine Stimme hinter uns. Es war Nanuks Mutter, die ihren Sohnemann nach Hause holen wollte. Sie hatte recht: Die Polarlichter tauchten Nanuks Fell mit ihrem Leuchten in ein wunderschönes strahlendes Grün. Und zum ersten Mal in seinem jungen Leben war der neugierige kleine Eisbär fraglos zufrieden.


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